I hate myself for loving you – Bob Dylans PLANET WAVES
Auf Planet Waves spricht Dylan über die Liebe, und zwar in einer für seine Verhältnisse ungewöhnlich deutlichen Sprache. Das liegt sicher daran, das er die Liebe nicht als ein Phänomen betrachtet, sondern vornehmlich eine individuelle Liebe besingt, seine Liebe zu seiner Noch-Ehefrau Sara.
Die erste Tour seit fast acht Jahren
Wir befinden uns im Jahr 1974, Dylan war die letzten acht Jahre zu Hause und hat die Geburt und das Aufwachsen der gemeinsamen Kinder miterlebt. Seit der legendären Tour 1966, bei dem ihm die lautstarke Ablehnung seines mit Hilfe von The Band nun elektrifizierten Folk-Rocks von bornierten Fans der akustischen Gitarre und linksradikal organisierten und grundsätzlich anti-hedonistisch eingestellten K-Gruppen entgegenschallte, war er auf keiner Tournee mehr gewesen. Nun aber sollte es mit der selben Begleitung wie damals wieder losgehen, und scheinbar war Dylan sehr bemüht, seiner wohl eher skeptischen Ehefrau zu vermitteln, das sie sich keine Sorgen machen müsse.
Die zweite Seite des Albums beginnt mit einer Hymne für seinen Sohn Jakob: «May he stay forever young» – hier im Gegensatz zu der akustischen Variante auf der ersten Plattenseite als Hillbilly-Rock elektrisch aufgeladen. Anders als der ebenfalls beeindruckende Wedding Song, der von Dylan während der nur drei Tage dauernden Studioaufnahmen erst geschrieben wurde, hat er die Idee zu Forever Young schon drei Jahre lang mit sich herumgetragen.
Einer der eindringlichsten Songs von Dylan überhaupt ist Dirge. Der Titel ist der englischsprachige Ausdruck für Klage- oder Trauerlied. Dylans Stimme ist bei den Aufnahmen zu Planet Waves unglaublich rund, voll und ausdrucksstark, was besonders diesem Trauerlied zu einem ungewöhnlich intensiven Sound verhilft. Die Aufnahmen zum Album waren schon beendet, und Dirge auch schon einmal zur akustischen Gitarre aufgenommen worden, als Dylan während des Mischens das Stück plötzlich noch mal auf dem Piano spielen wollte. Er bat Robbie Robertson ihn zu begleiten und nach nur einer Probe wurde die Aufnahme gestartet, die bis heute leider die einzige je gespielte Fassung dieses Songs bleiben sollte. Musikalisch orientiert sich der Song an This Whells on Fire, er wird dominiert von einem innigen Dialog zwischen Dylan’s treibendem Piano und Robertson’s zart gezupfter Gitarre.
«I Hate Myself for loving you..»: Von der ersten Zeile an baut Dylan in großen poetischen Bildern eine beklemmend düstere Atmosphäre auf, deren vielschichtiger Gehalt bis heute zu immer neuen Spekulationen über die Bedeutung des Inhalts anregt. Von den vielen möglichen Interpretationen sei hier die profane, aber irgendwie auch sympathisch Variante erwähnt, nach der Martha, die Freundin seines alten Freundes Louis Kemp, nach dem ersten Anhören von Forever Young im Studio Dylan gefragt haben soll, ob er nun auf seine alten Tage weich geworden sei. Für die These, das Dylan so provoziert wurde, diesen Song mit der Routine der «alten Tage» für düstere, prophetische Verse und verborgene religiöse Motive zu schreiben, spricht zumindest der ursprünglich auf den Tapes vermerkte Titel des Songs: Dirge for Martha. Was auch immer dahinter steckt: Dirge ist ein musikalisches und textliches Meisterwerk, das dicht und intensiv vorgetragen wird und dessen mysteriöse Vielschichtigkeit jedem, der zuhört, einen eigenen Song anzubieten vermag. Für einen einfachen Rocksong eine höchst seltene Eigenschaft.
Dylan pur: Vom Tauerlied zum Hochzeits-Song
PLANET WAVES endet in dem einerseits dramatisch und andererseits mit einer verwirrenden Ambivalenz vorgetragenen Wedding Song. Wieder ein Stück, das Dylan allein bestreitet, nur die beeindruckend volle Stimme, die Gitarre und die Mundharmonika. Nach dem Trauerlied, in dem der Held sich selbst für seine Liebe gehaßt hat, gibt es hier nun das vermeintlich hell leuchtende Gegengift: «I love you more than madness, more than dreams upon the sea, I love you more than life itself, you mean that much to me.» Jeder Vers hat vier Zeilen, jede Zeile wird von einem Akkordwechsel begleitet, das Stück wird im Stil des alten Folk-Barden, Vers für Vers ohne Überleitung oder Bridge vollkommen ironiefrei vorgetragen.
Die Lakonie von Dylans Vortrag und das Wissen um den raschen Entwurf dieses Textes – der Toningenieur Rob Fabroni hat berichtet, das Dylan den Text hinter dem Mischpult auf dem Fussboden liegend geschrieben hat – lassen sowohl die Annahme eines impulsiven emotionalen Bedürfnisses zu, als auch die These, das Dylan zum Ausklang dieser, von dem hochdramatischen Trauergesang Dirge dominierten zweiten Albumseite noch einen Gegenentwurf brauchte, der in einem vergleichbar traditionellen Folk-Stil zeigen sollte, das es ihm doch ernst ist mit der Liebe. Wie auch immer: Dylans Texte ernst zunehmen ist eine zutiefst individuelle Erfahrung – und für alle seine Interpretatoren ein niemals endendes analytisches Vergnügen.
Musikalisch ist PLANET WAVES mit dem zurückhaltenden Roots-Rock von The Band, Dylans frischer und voller Stimme und dem weiten Bogen zurück in die Gitarren-Folk Vergangenheit ein im Kanon des Werks von Dylan unterbewertetes Album. Beim Vinylrausch haben wir zwei unterschiedliche Pressungen miteinander vergleichen können: eine Ausgabe aus dem Jahre 1974, erschienen in den USA auf Asylum Records und eine europäische Pressung von ca. 1975, erschienen in England bei Island Records. Nach einhelliger Meinung hatte die Pressung aus England deutlich mehr Punch, war knackiger und durchsichtiger.
Comments (0)