Dass die #75 etwas Besonderes ist, hat schon der Applaus zur Begrüßung gezeigt. Schön war, dass nicht nur bekannte und Vinylrausch-Begeisterte, sondern auch einige neu Interessierte den Weg ins Sputnik-Kino gefunden haben.
Besonders wurde der harte Vinylrausch #75 aber erst durch Martin ’Ludi’ Ettrich, der zwei Tage und eine lange Anreise aus Mühlheim auf sich genommen hat, um uns nicht nur mit seiner Sologitarre zu überraschen, sondern auch um viele spannende Geschichten aus der Bandhistorie von Birth Control zu erzählen. Herzlichen Dank dafür hier noch einmal an Ludi, das war ganz groß!
Los ging es natürlich mit dem Klassiker Deep Purple In Rock. Speedking und Bloodsucker sind zwei frühe Beispiele für Hardrock-Songs, die schnell und laut daherkommen und dabei besonders in den luftigen Orgelpassagen ihre Herkunft aus dem Psychedelic Rock nicht verleugnen. Auf der von uns aufgelegten Pressung vom Ende der Siebzigerjahre klangen beide Songs sehr gepresst und kompakt. Dagegen öffnete Child in Time den Sound zu einem ausgewogenen, luftigen Klang und bestärkte unseren Verdacht, dass die Songs in verschiedenen Studios aufgenommen oder gemastert sein müssen.
Album des Monats war dann das etwas in Vergessenheit geratene Hoodoo Man von Birth Control: tolle Songs, die mit viel Kraft nach vorn gehen, gut gesungen sind und immer wieder mit melodisch konsistenten und dabei aber ausreichend abwechslungsreichen Breaks und Brücken glänzen können. Auch wenn die Band Anfang der Siebzigerjahre sicher zu den härteren Bands in Deutschland gehört hat, sind Songs wie Buy oder Suicide offen und komplex arrangiert und können immer wieder mit neuen musikalischen Ideen überraschen.
Wenige Tage vor dem Vinylrausch #75 in einem Plattenladen entdeckt: ein Plakat von Birth Control mit dem Motiv von Hoodoo Man.
Das Konzert fand 1992 in der Nähe von Magdeburg statt und hat, laut Aussage der Ladenbesitzerin, “für die Kunden eine besondere Bedeutung …”
Ludi hat uns zu dem noch immer prägenden Hit Gamma Ray berichten können, dass der Song als Letztes aus einem Jam entstanden ist, weil noch einige Minuten auf dem Album fehlten. Die Band wird bis heute an diesem Song gemessen – Ludi und die derzeitige Besetzung von Birth Control haben ihm ein zeitgemäßes Update verpasst.
Bevor wir dann von Ludis Band The Almost Three das Album It’s Just Music aufgelegt haben, hat der begeisternde Gitarrist uns eine mitreißende Kostprobe auf der E-Gitarre gegeben! Ein echtes Erlebnis …
Mit It’s Just Music hat uns der Gitarrist und Bandleader zum Schluss des Abends ein durchweg energetisches, von wunderbar ins Ohr und in die Beine gehenden Songs geprägtes Album vorgestellt. Songs wie Tough Times oder The Whale setzen sich mit ihren bestechenden Hooklines im Kopf fest und lassen einen nicht so schnell wieder los. Ein Beleg dafür war das große Interesse an den mitgebrachten Vinylpressungen, die schnell ausverkauft waren …
Ein rundum gelungener Abend und ein würdiges Jubiläum, für das wir uns ganz herzlich bei Martin ’Ludi’ Ettrich bedanken!
Weltschmerz bei Ambros, ekstatische Lebensfreude bei Bilderbuch und melancholische Verzweiflung bei Culk.
1975
Wolfgang Ambros – Es lebe der Zentralfriedhof
Es lebe der Zentralfriedhof hat den VR #74 mit einer überraschenden Mischung aus Folk-Rock, orchestralem Pop, Walzerzitaten und melancholisch-lebensfrohen Texten eröffnet.
2015
Bilderbuch – Schick Schock
Schick Schock hat uns beim recht düsteren VR #74 mit einer herzerfrischend lässigen Mischung aus Elektrofunk, Hip-Hop und harten Rockriffs und vielen brillanten musikalischen Ideen überzeugt.
2023
Culk – Generation Maximum
Generation Maximum hat beim VR #74 für Diskussionen gesorgt. Eine schonungslose, ernst und düster scheinende Selbstbetrachtung der Generation Z voller brodelnder Energie.
Ein intensiver Vinylrausch mit männlichen Blicken aus weiblicher Perspektive und rumpelnden Klängen von zwei eigenwilligen Stimmen.
1975
Joni Mitchell – The Hissing of Summer Lawns
The Hissing of Summer Lawns ist ein reiches Werk, das uns beim intensiven VR #73 mit dem männlichen Blick auf Frauen in den Siebzigern konfrontiert hat.
Rain Dogs ist voller dichter Songs über Aussenseiter und verlorene Seelen – beim VR #73 haben wir das längste und eines der vielseitigsten Alben gehört.
Ein Rausch, in den wir uns hineinfallen lassen konnten: über dreißig Jahre Musikgeschichte, von Rhythmusschleifen getragen ...
1972
Can – Ege Bamyasi
Auf Ege Bamyasi haben Can zu ihrem Sound gefunden: lange, repetitive Improvisationen auf Seite A, Hits und herausfordernde Experimente auf der B Seite. Gehört beim puren VR #72
1985
The Fall – This Nation’s Saving Grace
This Nation’s Saving Grace steckt voller Überraschungen und ist gleichzeitig von ständig wiederholten Rhythmus-Patterns geprägt. Ein kraftvolles Erlebnis beim VR #72
2005
Tocotronic – Pure Vernunft darf niemals siegen
Pure Vernunft darf niemals siegen hat mit lakonischen Texten und der hypnotischen Qualität zweier verzerrte Gitarren endlich die Hamburger Schule zum VR #72 gebracht.