War das nun der ultimative Rausch, wie ein Zuhörer schon ein paar Tage vorher erwartet hat? Mit 26 vergangenen Versuchen im Hinterkopf, einen ordentlichen Vinylrausch herbeizuführen, ist das nicht einfach zu entscheiden. Es gibt allerdings ein paar Hinweise, die tatsächliche auf einen besonderen Rausch hindeuten:
die bestechende konzeptionelle Kontinuität, was die Aufnahme von The Stooges und unsere Wiedergabe der LP angeht: exakt 50 Jahre und 30 Minuten nach Abschluss (oder Antritt, wenn wir die Zeitverschiebung mitrechnen) der Aufnahmen für das Album konnte wir diesen energetischen Ausbruch jugendlicher Energie würdigen. Eine sinnlose, aber trotzdem begeisternde Tatsache.
- der perfekte Bogen vom März 1969 über den April 1979 bis in den Februar 2019, den dieser Rausch schlagen konnte: von den Urvätern des Punk-Rock, über die zweite Generation der britischen Punk-Bewegung bis hin zu der ebenso von den achtziger wie den sechziger Jahren befruchteten aktuelle jungen Band Culk.
- der von Iggy Pop in einem Interview benannte Widerstand von den Stooges gegen den «Fucking-Marakesch-Bla-Bla-Express», der auf die aktuellen Rock-Pop-Charts von 1969 zielt und damit den perfekten Kontrast zu unserem letzten Vinylrausch #26 herstellt.
- und wenn dann auch noch der erste Song den Titel «1969» hat…
Zumindest so perfekt eingebunden und so konzeptionell kontinuierlich war noch kein Rausch – bisher. Ultimativ darf er aber schon deshalb nicht gewesen sein, weil ja noch weitere Räusche folgen sollen, wir müssen noch ein wenig Luft nach oben lassen….
1969
The Stooges - The Stooges
1979
Joy Division - Unknown Pleasures
2019
Culk - Culk
Culk – psychedelischer Post-Punk, alt und neu, kalt und heiß. Abschluß vom jüngsten Rausch und dem schwarzen VR #62. Umwerfend.
The Stooges: Zwei Riffs, vier Songs und ein Mann namens Pop.
«Its 1969, o.k….» Was für ein Auftakt: Ein verzerrter, schleppender Akkord hallt durch den Stereoraum, dazu ein langsamer, monotoner Takt auf dem Schlagzeug, bis Iggy mit einem fordernden All right den ersten und einzigen Tempowechsel fordert. Von nun an tönen die zwei Akkorde der Gitarre auf dem einen Kanal und die mehr mißmutig erzählende, als singende Stimme nölt auf dem anderen. Dahinter liegt das monoton groovende Schlagzeug, rhythmisch synkopiert von einem weniger nervösen, als stetigen Handclapping.
Das ist einfacher Rock’n’Roll, der die Entwicklung der Musik und die Akkordwechsel auf ein Minimum reduziert, weil er pure Energie sein möchte. Alles an diesem Song ist auf die Stimmung konzentriert, auf die konstante Kraft, die der Groove liefert und die sich in der repetitiven Wiederholung zu immer größerer Spannung aufbaut. Der ungetrübt durchsichtige Sound dieses Albums erinnert uns an das Wesentliche der Rockmusik, die hier nur so strotzt vor Kraft und Selbstbewusstsein.
Auch I Wanna Be Your Dog besteht im Grunde aus nichts weiter als dem einen schlichten Riff von Ron Ashton. Die Reduktion des Songs auf dieses eine Riff, die Schlichtheit und unaufgeregte Einfachheit ist die stille Größe dieser Musik, die in keinem Moment vorgibt, mehr als die Kraft des Augenblicks zu sein.
Damit ist es natürlich in erster Linie Musik für die Bühne, und auch wenn man die legendären Auftritt von Iggy und den Stooges nur von den wenigen Ausschnitten bei Youtube oder den vielen Fotos im übrigen Internet kennen sollte, spürt man in ihnen doch sofort die Macht, die Iggy Pop über das Publikum hat. Lester Bangs vertrat schon 1970 aus Anlass einer Fernsehshow, in der die Stooges u.a. mit Alice Cooper aufgetreten sind, die These, dass Iggy der einzige Performer ist, der die «Hydra des Publikums» wahrhaftig beherrscht, denn er ist ununterbrochen auf der Lauer, fixiert jeden einzelnen, ist gleichzeitig offen und fordernd und zieht seine maßlose Energie eben aus diesem unmittelbaren/ungefilterten geben und nehmen.
Im Vergleich zu den Live gespielten Fassungen der Songs ist das Debütalbum auffallend gradlinig. Das hat sicher etwas mit John Cale zu tun, der das Album in New Yorck im Studio produziert hat. Cale hat dann auch mit seinem Cello den ungewöhnlichsten Song der Platte begleitet. Das zehnminütige We Will Fall ist aus Verzweiflung entstanden: nach vier Tagen Studioarbeit fehlten noch immer Songs und darum kam die Idee auf: «Laßt uns doch etwas mit Om machen…» Über den einfachen, mantra-artig wiederholten Vers wurde dann zehn Minuten lang improvisiert.
Mit diesem Stück haben sie sich nach Iggys Meinung von den anderen harten Bands der Zeit unterschieden. Auch beim Vinylrausch hat der Song seine hypnotische Wirkung voll entfalten können – und der mitlaufende Text hat Auskunft darüber gegeben, wie er, vermutlich in der Nacht davor, im Chelsea-Hotel entstanden ist: der Held liegt verliebt auf seinem Hotelbett und ersehnt vergeblich den Besuch seiner Geliebten in Raum 121, bis es dann um sechs Uhr morgens an der Tür klopft. Das könnte dann aber auch John Cale gewesen sein, der zur letzten Schicht gerufen hat…
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