Ein risikoreiches Programm mit zwei Jubiläums-Alben, die etwas unter dem Radar von vielen Musiksammlern laufen: Masterpiece von The Temptations war weder ein Charterfolg, noch der bekannteste Song der Band. Und mit Deodato bewegt man sich immer auf glattem Eis, denn die spritzigen Arrangements schlittern ständig an der glatten Abbruchkante zum gediegenen Kitsch entlang.
Gefahren gab es also genug, darum haben wir als Album des Monats eine echte Bank ausgesucht: der obercoole Lee Fields sollte auf Faithful Man seinem Motto »I‘m of age, I‘m cool and dangerous« mehr als gerecht werden …
Only the strong survive
Masterpiece ist das vorletzte Album, das der einflussreiche Produzent, Songschreiber und Komponist Norman Whitfield mit den Temptations aufgenommen hat. Schon das Cover macht klar, wer sich hier mit einem Meisterstück verewigen will: Whitfield taucht unter dem als geprägtem Heldenportrait gestalteten Titelbild als Autor auf und lässt die fünf Temptations auf der Rückseite gar als seine Kopfgeburten auftauchen. Sein Selbstbewusstsein hat Whitfield aus zehn Jahren als Mitarbeiter in der straff organisierten Hitproduktion von Motown gezogen – und aus einigen unsterblichen, psychedelischen Soulhits wie Cloude Nine, Psychedelic Shack, Ball of Confusion oder natürlich Papa Was A Rolling Stone, die er für The Temptations geschrieben und komponiert hat. Mit deutlichen Botschaften aus der Lebenswirklichkeit der Afroamerikaner und mit seiner musikalischen Experimentierfreude, dem Mut zu ungeraden Takten, funkigen Bässen, Echo, Hall und Wah-Wah Gitarreneffekten ist Whitfield einer der herausragenden Protagonisten des Electrified oder Psychedelic Soul. Zu diesem Genre hatte Isaac Hayes 1969 mit Hot Buttered Soul 1969 die Blaupause geliefert – von uns gehört beim Vinylrausch #32.
Auch wenn das Masterpiece deutlich an Hits wie Papa Was A Rolling Stone erinnerte, hat uns der durchgehaltene Groove, die satten Streicher und sparsam gesetzten Texturen sehr angenehm in diesen sonnigen Vinylrausch #58 eintauchen lassen.
Diese amerikanische Pressung auf dem Motown Sub-Label Gordy ist drei Tage nach dem Vinylrausch #58 beim HHV-Digin’ im Gretchen in Berlin aufgetaucht.
Überraschender Applaus für Deodato
Mit einer Seite von Deodato 2 haben wir uns den Herausforderungen der vermeintlich leichteren Muse gestellt, denn das Label CTI wird von echten Jazzfans eher als Adresse für Coffeetable-Jazz betrachtet. Deodato folgt dann auch immer wieder mit leichten und streicherlastigen Arrangements den Vorlieben des Labelgünders Creed Taylor. Dazwischen aber gibt es sehr spannenden Soul-Jazz, dessen dichte, volle Arrangements atemlos pulsieren und trotzdem Platz für raumgreifende Soli lassen. Das Piano von Deodato selbst und die wildgewordene E-Gitarre von John Tropea reißen es raus und machen aus der zweiten Seite von Deodato 2 trotz des etwas vorhersehbaren Covers von Gershwins Rhapsody in Blue weit mehr als eine ausgelassene Latin Disco Nummer.
Zumindest war das ganze nach der langen Soul-Geraden des Masterpiece mitreissend genug, um spontanen Applaus für Deodato zu verursachen.
»Ich bin erfahren, cool und gefährlich …«
Lee Fields ist ein musikalischer Anachronismus. Er hält den Funk von James Brown mit pflichtbewusster Begeisterung und vollem Einsatz am Leben. Dabei bezieht er sich aber gleichzeitig auf die großen Soulsänger der Sechzigerjahre, auf Vorbilder wie Sam Cooke, Otis Redding oder Wilson Picket.
Getragen wird er von einem ungeheuer kompakten und präzisen Soulorchester. Das New Yorker Label Truth & Soul hat es geschafft, eine ganze Reihe von jungen Musikern an sich zu binden, die Fields mit sparsam arrangiertem Neo-Soul den perfekten Hintergrund für seine nicht sehr variationsreiche, aber dafür umso charakterstärkere Stimme bietet.
Die Songs auf Faithful Man sind vom Titelsong an alle hörenswert. Sie handeln, wie sollte es anders sein, vom Verlassen und Verlassen werden, von Betrug und Einsamkeit. Dabei gelingen wahre Perlen, Songs mit eingängigen wie schönen Melodieideen wie das euphorische I Still Got It, das dramatische It’s All Over (But The Crying) oder das beschwörende Wish You Were Here.
Ein rundherum mitreissendes Album, das Lust auf eines der noch immer in relativ kleinem Rahmen stattfindenden Konzerte von Lee Fields macht – dabei steht der vermutlich dienstälteste Vertreter der Neo-Soul Sänger in einer Riege mit Charles Bradley oder Sharon Jones.
Weil es einige Nachfragen nach dem Album gab, dass wir vor der Veranstaltung aufgelegt haben: es ist das gerade erst erschienene Album Soul Steps von der Berliner Band The Everettes. Neo-Soul vom Feinsten, den man hier auf allerlei Plattformen nachhören kann!
Ein furioses Saisonfinale mit packenden Songs auf allen drei Alben. Satte Grooves, komplexe Storys und eine Handvoll Hits...
1974
Bob Marley – Natty Dread
Natty Dread ist radikal, voller Hoffnung auf Veränderungen, mit betörenden Melodien und durchdringendem Beat – Album des Monats beim rebellischen VR#66
1979
The Clash – London Calling
London Calling eines der wichtigsten Rockalben überhaupt, nicht nur der 80er Jahre. Ein Stilmix von Rockabilly über Gipsy-Jazz, Garagenrock und natürlich Reggae – gehört beim VR#66
2003
Ben Harper – Diamonds On the Inside
Diamonds On the Inside ist ein verwirrender Stilmix, abwechslungsreich, Tanzbar und voller Ohrwürmer. Erster Song: eine Reggae-Hymne. Gehört beim VR#66
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