Es wird wohl vorerst unser letzter Rausch gewesen sein, zumindest lässt das böse O. solches vermuten. Die Furcht vor zu viel Nähe, ein entzündeter Weisheitszahn und mehrere Booster-Nachwirkungen haben die Besucher bei diesem musikalisch schwer zu überbietendem Rausch auf die wirklich enthusiastischen Rausch-Fans eingedampft.
Es sollte beim grauen Rausch um progressive Popmusik gehen und diese scheint dann interessant zu werden, wenn die Texte mit viel englischem Humor angereichert sind. Krude Texte sind bei 10cc Programm, fanden sich aber nicht weniger merkwürdig auch bei Caravan und Jerskin Fendrix. Insofern schloss der Vinylrausch #42 an die Ausgabe #41 an – allerdings mit sehr viel einfacher zu lesenden Texten.
»We talk in morse …«
Musikalisch sprechen Caravan die Sprache des Canterbury – ein besonderer Stil, der nach einer kleinen Stadt südlich von London benannt ist. Dort bildeten in den Sechzigerjahren eine Musikuniversität und die Band The Wild Flowers die Keimzelle für eine Handvoll Bands, die aus dem psychedelischen Rock eine freifliessenden Mischung aus Folkelementen, Pop-Melodien, swingendem Jazz und rockigem Beat entwickelte.
In The Land of Grey and Pink wird allgemein als die wichtigste Platte von Caravan bezeichnet. Sie könnte auch als Stildefinition des schwer zu fassenden Canterbury-Sounds dienen, denn auf ihr vereinen sich die eben genannten Elemente: Der Sound ist leicht und offen und klang auf der perfekten DECCA-Pressung von 2019 großartig transparent und räumlich. Caravan mischen die von Pye Hastings mit weicher, klarer Stimme gesungenen Pop-Melodien mit sanften Bläser- und Flötensounds und arrangieren das Ganze auf einem durchgängig groovigen Orgelteppich.
Ganz große Popmusik, abwechslungsreich mit einer A-Seite voller kleiner Song-Miniaturen und dem großen psychedelischen Pop-Oratorium ‘Nine Feet Underground‘ auf der zweiten Seite. Ein Erlebnis.
»He was an artist in his own war …«
Weiter ging es mit 10cc, die auf ihren Alben in einem denkwürdigen Spagat progressive Popmusik und Nr.1-Hitsingles abgewechselt haben. Auf The Original Soundtrack beginnt das eher experimentellere Songschreiberduo Kevin Godley und Lol Creme – deren Album L wir hier beim Vinylrausch schon aufgelegt haben – mit der schwülstigen Mini-Rockoper ‘One Night in Paris‘, die Queen zu ihrem legendären ‘Bohemian Rhapsodie‘ inspiriert haben.
Der Nr.1 Hit von 1975 war aber ‘I‘m Not in Love‘ von Eric Stewart und Graham Goldman. Übertrieben traurige Verse, eine zuckersüße Melodie und ein bombastischer Chor aus 24 übereinander gelegten Gesangsspuren klangen, beim Vinylrausch #43 laut aufgedreht, entsprechend bombastisch.
Die englische Band mit dem sehr eigenen Humor wird uns sicher noch einmal begegnen.
»I feel it in my bones …«
Jerskin Fendrix ist zum Star geboren – das jedenfalls nimmt er das in dem furiosen Auftakt zur B-Seite seines 2020er Albums Winterreise an. Seine Songs sind extrem ausgeklügelte Inszenierungen, in denen sich aufbrausende Streicher über nervend monotone Digitaleffekte legen können. Er ist ein langsamer Arbeiter, der jedes Stück über Monate entwickelt, liegen lässt und immer wieder neu mischt. Eine faszinierende Melange aus moderner elektronischer Musik, weichen Pop-Streichern und flirrenden Effekten.
Ein kleines, aber sehr begeistertes Publikum hat bei diesem, spirituelle Heilung versprechenden Vinylrausch #45 die musikalische Medizin vollständig eingenommen und ohne Nebenwirkungen gut vertragen!
1997
Spiritualized – Ladies And Gentlemen We Are Floating In Space
Beim schwarzen Vinylrausch #44 haben wir den 'War Pigs' ins Auge geschaut und uns kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs an der Teufelsaustreibung versucht.
1968
Iron Butterfly – In-A-Gadda-Da-Vida
In-A-Gadda-Da-Vida hat beim VR #44 die psychedelische Grundlagen für die Geburt des Heavy Metal gelegt.
1970
Black Sabbath – Paranoid
‘Paranoid‘ hat Heavy Metal begründet und Position gegen den Krieg bezogen, beim schwarzen VR #44
Vor 50 Jahren ist das beeindruckend vielfältige ‘Hunky Dory‘ von David Bowie erschienen. Dazu das erste Kunstwerk der Rockgeschichte und eine ungewöhnliche Sängerin im VR #42
1966
Bob Dylan - Blonde on Blonde
Blonde on Blonde haben wir beim Vinylrausch II gehört. Bei #42 sind wir wieder ans Eingemachte gegangen.
1971
David Bowie – Hunky Dory
Hunky Dory haben wir beim Vinylrausch II und 50 Jahre nach Erscheinen bei #42 gehört
2006
Joanna Newsom – Ys
Ys war mit ‚Emily‘ der grandiose Abschluss beim VR #42
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