Ein schwarzer Rausch, der als Eröffnung der Festivalsaison geplant war und nun zu einem Abschiedsrausch für enge Musikfreunde wurde. Mit Thomas haben wir die Bands dieses Abends auf der Zappanale und dem Burg Herzberg Festival live gesehen, gestaunt und getanzt.
Die Alben stammen aus diesen wunderbaren Sommernächten, in der die Musik den Körper durchschüttelt und der klare Sound über die Wiese ins nirgendwo schallen kann.
»I‘m rich, and I don‘t know what to do with myself…«
Christian Kühn, Marco Messy Millionaire
Gut, dass Christian Kühn nicht reich ist und darum etwas mit sich anzufangen weiß: in schrägem Outfit und mit der Gitarre und einem Feuerzeug im Anschlag haben wir ihn im Frühjahr in einer Berliner Kneipe aufgestöbert. Es war der Höhepunkt eines entspannten Kneipentages – und das letzte Konzert, dass wir mit Thomas sehen durften.
Weil Kühn mit seiner Band Kuhn Fu im letzten Jahr auf der Zappanale gespielt hat, paßte für den schwarzen Rausch das ungewöhnliche und auch für Freunde der Music Outside the Norm herausfordernde Album Chain the Snake als Album des Monats.
Der Sound von Chain The Snake war offen und durchsichtig. Perfekt für die vielschichtigen Klangungetüme, die einen weiten Bogen überspannten. Vom musikalischen Berserkertum, bei dem sich über dem ausgelassenen Schlagzeug ein Dialog zwischen Free-Funk-Gitarre und freidrehender Bassklarinette entwickelt bis hin zu sanften Melodien und schrägen Walzerklängen wurde uns einiges geboten. Musik zum konzentrierten Zuhören, Entdecken und Eintauchen. Perfekt für ein Publikum, dass offen ist und zuhören kann – Christian konnte nach diesem Erlebnis einige Vinylalben an angefixte Zuhörer weitergeben.
Spät nachts auf der Mental Stage des Herzberg Festivals: afrikanische Trommeln treiben das tanzende Volk an. Eine tiefe Stimme erzählt eine dramatische Geschichte, bis die verzerrte E-Gitarre alles mitreißt: diese seltsame Mischung aus aufbrausendem Rock, filigranen Rhythmen und entspannten Grooves paßt perfekt in eine warme Sommernacht.
The Noise Of Time wurde beim Vinylrausch zu der nötigen Pause zwischen zwei Herausforderungen. Toller Sound einer in jeder Hinsicht runden Rockplatte mit ungewöhnlicher Instrumentierung.
8,5 Punkte für DRH: Schwarze Anzüge und metallene Breaks
Zum ersten Mal DRH war ein Schock: wir mußten auf die von Charly aus dem Pool seiner Freakshow-Bands ausgesuchte Truppe bis nach Mitternacht warten, der Weg aus Lyon war weit. Auf der Bühne in der Freak-City tauchten dann vier Typen in schwarzen Anzügen auf – weiße Hemden und Kravatten sind auf dem Herzberg Festival ein wahrlich exotisches Outfit.
Die Musik hat uns dann allerdings umgehauen: Moderner Jazz, der sich in kurzen Phrasen als eher traditionell tarnt, explodiert in rhythmischen Schleifen zu einem Metall-Music-Mix. Die ungeheure Dynamik, das nebeneinander von sanften Saxophonklängen und brachial starken Breaks ist absolut mitreissend und kommt auch auf dem 2022 erschienenen Album Ode to a Firework mit großer Bühne rüber. DRH haben uns in Herzberg und auf der Zappanale begeistert – und auch für einige Neulinge beim Vinylrausch #65 waren sie der Höhepunkt dieses herausfordernden und befriedigenden Abends.
Absolutely Free: ein musikalischer Abschied
Wir haben uns mit dem schwarzen Rausch von Thomas und Svenja verabschiedet. Beide gehören zum erweiterten Kreis des Zappanale Teams, Svenja hat unser Zelt auf dem Herzberg organisiert und Thomas war seit vielen Jahren im Vorstand und für Presse und Grafiken zuständig.
SvenjaThomas
Beide sind lange vor ihrer Zeit gegangen und gehören einfach auf unserer Festivals. Wir werden die beiden in diesem schwarzen Sommer vor jeder Bühne vermissen.
Weltschmerz bei Ambros, ekstatische Lebensfreude bei Bilderbuch und melancholische Verzweiflung bei Culk.
1975
Wolfgang Ambros – Es lebe der Zentralfriedhof
Es lebe der Zentralfriedhof hat den VR #74 mit einer überraschenden Mischung aus Folk-Rock, orchestralem Pop, Walzerzitaten und melancholisch-lebensfrohen Texten eröffnet.
2015
Bilderbuch – Schick Schock
Schick Schock hat uns beim recht düsteren VR #74 mit einer herzerfrischend lässigen Mischung aus Elektrofunk, Hip-Hop und harten Rockriffs und vielen brillanten musikalischen Ideen überzeugt.
2023
Culk – Generation Maximum
Generation Maximum hat beim VR #74 für Diskussionen gesorgt. Eine schonungslose, ernst und düster scheinende Selbstbetrachtung der Generation Z voller brodelnder Energie.
Ein intensiver Vinylrausch mit männlichen Blicken aus weiblicher Perspektive und rumpelnden Klängen von zwei eigenwilligen Stimmen.
1975
Joni Mitchell – The Hissing of Summer Lawns
The Hissing of Summer Lawns ist ein reiches Werk, das uns beim intensiven VR #73 mit dem männlichen Blick auf Frauen in den Siebzigern konfrontiert hat.
Rain Dogs ist voller dichter Songs über Aussenseiter und verlorene Seelen – beim VR #73 haben wir das längste und eines der vielseitigsten Alben gehört.
Ein Rausch, in den wir uns hineinfallen lassen konnten: über dreißig Jahre Musikgeschichte, von Rhythmusschleifen getragen ...
1972
Can – Ege Bamyasi
Auf Ege Bamyasi haben Can zu ihrem Sound gefunden: lange, repetitive Improvisationen auf Seite A, Hits und herausfordernde Experimente auf der B Seite. Gehört beim puren VR #72
1985
The Fall – This Nation’s Saving Grace
This Nation’s Saving Grace steckt voller Überraschungen und ist gleichzeitig von ständig wiederholten Rhythmus-Patterns geprägt. Ein kraftvolles Erlebnis beim VR #72
2005
Tocotronic – Pure Vernunft darf niemals siegen
Pure Vernunft darf niemals siegen hat mit lakonischen Texten und der hypnotischen Qualität zweier verzerrte Gitarren endlich die Hamburger Schule zum VR #72 gebracht.
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