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Herz aus Vinyl – Die Review zum VR #51

Was ein Rausch! Es war voll, die Stimmung war konzentriert und die »supertollen« Vibes hat wohl jeder Gast gespürt.

Vermutlich hätte ich ‘Harvest‘ von Neil Young trotz seines 50. Jubiläums links liegen gelassen, bei den vielen wichtigen Alben, die das Jahr 1972 zu bieten hat. Wir können also froh sein, dass der Stamm-Zuhörer Michel insistiert und das Album vor einiger Zeit vorgeschlagen hat. Als er noch dazu beim nächsten Rauch mit einem perfekten Plan kam, der die dunkle Zahlenmystik hinter dem Vinylrausch wirklich ernst genommen hat, war klar, dass er das Programm übernehmen wird.

Hier also herzlichen Dank an Michel, der ein ungewöhnliches Programm um Neil Young und zwei seiner Musiker-Fans zusammengestellt hat!

Mit gebrochenem Flügel

Harvest Box 50. Jubiläum, FotodruckBegonnen haben wir mit ‘Harvest‘ als unserem Album des Monats. Viele der Anwesenden kannten das Album natürlich, es ist eines seiner erfolgreichsten und das einzige, das es in Amerika in den Billboard-Charts auf Platz 1 gebracht hat. (Mit ‘Heart of Gold‘ als seinem einzigen Nr. Single-Hit.)

Neil Young war 1971 in einer Umbruchphase: er hat sich von seiner Frau Susan getrennt, die legendäre Brocken Arrow Ranch gekauft und sich neu verliebt. Diese Ereignisse haben deutliche Spuren in vielen der Songs hinterlassen:

 

  • »Out On The Weekend« eröffnet gleich mit der Sehnsucht des »Lonely Boys« nach einem Platz, den er für sich finden will, nachdem er seinen Pick-Up gepackt hat.
  • »A Man Needs A Maid« beschreibt in einer Zeile, wie er die Schauspielerin Carrie in einem Film gesehen und sich in sie verliebt hat.
  • »Heart of Gold« nimmt mit den ersten Zeilen »I’ve been to Hollywood, I’ve been to Reedwood« Bezug auf die Sorge, ob Carrie wirklich Hollywood gegen die Einsamkeit der Broken Arrow Ranch eintauschen wird.
  • »Old Man« ist von der Begegnung mit dem Verwalter der Ranch inspiriert.

Diese Reihe ließe sich leicht fortsetzen. Was die Stücke ausserdem verbindet, ist die Neil-Young-typische Melancholie. Über seinen Songs scheint, auch in den hoffnungsvollsten Momenten, immer eine Art Trauer zu liegen. Er hat sich persönlich mit der Brocken Arrow Ranch einen Traum erfüllt – aber statt sich zu freuen, fragt er sich zweifelnd, ob er jemals eine Frau finden wird, die bereit ist, die Einsamkeit der Ranch mit ihm zu teilen? Carrie erwidert schon bald seine Liebe – aber wird sie wirklich Hollywood gegen Redwood tauschen?

Während die hemdsärmeligen Helden von Bruce Springsteen vom Leben gebeutelt sind und ihre Tragik in dem aussichtslosen Kampf mit den Verhältnissen liegt, verzweifeln die Helden von Neil Young an sich selbst und an ihrer eigenen Unvollkommenheit.

Glaubhaft wird diese melancholisch-pessimistische Weltsicht bei Young besonders durch seine zerbrechlich wirkende Stimme und die großartigen Melodien, die von einem vollen, etwas ›verwaschen‹ Gitarrensound begleitet werden.

Verblüffend war beim Vinylrausch #51, wie geschlossen und stimmig das Album doch geklungen hat. Ganz entgegen meiner Erwartung gab es keinen schwachen Song auf der Platte …

Zum Sound mache ich keinen Kommentar, sondern zitiere hier aus einer Mail eines Besuchers, der unser Erlebnis so zusammenfasst:

»Wir waren beide total begeistert, wie die Musik uns umfangen hat (der Sound war auch am Rand ganz toll) …« »Gestern Abend war mein Eindruck (von Harvest) noch viel intensiver, und es war so eine anrührende Aura im Raum, weil alle ihre tiefe Verbindung mit der Musik ausgekostet haben.«
Bernd

Aus der Harvest Jubiläums-BoxGenießen konnten wir ‘Harvest‘ von der gerade erschienenen Pressung aus der Jubiläums-Box, die nicht nur ein sehr schön gestaltetes Buch mit einem aufschlussreichen Text und vielen Fotos zum Album enthält. Es gibt auch zwei DVDs, mit dem 1971 entstandenen Film ‘Harvest Time‘ und einem BBC-Konzert aus demselben Jahr. Dieses Konzert liegt auch noch mal als Vinyl bei, dazu ein hochwertiger, nummerierter Druck und zwei Outtakes als Single. Alles in allem eine wirklich liebevoll gestaltete Box, in der es für jeden Neil-Young-Fan etwas zu entdecken gibt.

Besten Dank an Warner Music, die uns diese Box zur Vorbereitung und zum Auflegen der neuen Pressung zur Verfügung gestellt hat!

»Könnt ihr bitte den Lärm beenden?«

OK Computer‘ war nach ‘Harvest‘ ein großer musikalischer Kontrast – progressiv statt traditionsverbunden, mehr Collagen als straighte Songs, elektronische Soundexperimente statt akustischer Gitarre. Bezüge gab es zwischen den symphonischen Parts auf einigen ‘Harvest‘-Stücken und dem elegischen Sound von Radiohead auf ihrem genau vor 25 Jahren erschienenen Album.

Cover OK Computer RadioheadNeben diesem Jubiläum war für Michel entscheidend, dass Thom York ein ausgewiesener Neil Young-Fan war und ist. Obwohl seine Musik wenig bis gar keine Bezüge zu Folk oder Country hat, war das Songwriting von Neil Young für York wichtig. Die einfach klingenden Melodien und knappen Texte, die den emotionalen Gehalt selbst erlebter Situationen und Begegnungen in offenen Versen einfängt, haben ihn beeindruckt.
Bei Thom York wie auch Neil Young wechseln sich einzelne Zeilen, die wie unmittelbare Beobachtungen klingen, mit Assoziationsketten ab, die für Aussenstehende schwer zu entschlüsseln sind, ihren Ursprung aber auch in eigenen Erlebnissen haben werden. Dabei zeigt sich Radiohead auf ‘OK Computer‘ deutlich wütender und politisch aktueller, als es bei dem mit sich selbst beschäftigten Neil Young auf ‘Harvest‘ der Fall ist.

Wir haben staunend und mit Begeisterung die ersten beiden Seiten dieses wichtigen Albums aus den Neunzigerjahren gehört.

»Sprichst Du mit mir?«

Beilage Fear of the Dawn Jack WhiteJack White fürchtet sich weder vor dem Tag noch vor der Nacht, das Aufgehen der Sonne aber bereitet ihm Kopfzerbrechen: auf ‘Fear Of The Dawn‘ bekämpft er seine und unserer Dämonen mit einem Feuerwerk an musikalischen Ideen. Es pfeift und murmelt, das Theremin jault, der Scat-Gesang schwebt im Raum, irgendwo britzelt es im Stromkasten und die E-Gitarre schickt wohldosierten Stromstößen aus allen Richtungen …

Ein ungewöhnlicher Sound für Jack White, hart, abwechslungsreich und so voller Energie, dass er als perfekte Abwehrmaßnahme dient gegen jede Art von Eosophobia, so das griechische Wort für die ›Angst vor der Morgenröte‹. Beim Vinylrausch war dieses Album, das 2022 gerade erst erschienen ist, dann auch der perfekte Abschluss für die #51. Es war der nächste überraschende Kontrast und das Werk eines Künstlers, der nicht nur ein großer Neil-Young-Fan ist, sondern sich, wie Neil Young auch, ständig neu erfindet und dabei doch irgendwie treu bleibt.

Ein großer Abend, für den wir uns bei Michel bedanken!

Vinylrausch #51
1. Neil Young – Harvest (1972)
2. Radiohead – OK Computer (1997)
3. Jack White – Fear Of The Dawn (2022)
4. Herz aus Vinyl – Die Review zum VR #51
5. Die Jubiläums-Box voller Überraschungen

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