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Vinylrausch #54, eine minimale Rückschau

Es ist vermutlich nicht übertrieben, zu sagen, dass der minimale Vinylrausch #54 eine maximale Herausforderung war. Zumindest das erste Album: In einer 23 Minuten anhaltenden gesanglichen Improvisation zu einem gehaltenen Sinuston hat La Monte Young uns mit einer nahezu statischen Musik konfrontiert, deren Ziel wohl eine Art meditative Fokussierung auf das eigene Ich ist. Das Schwarze Album war ein wirkliches Erlebnis, für einige Zuhörer aber auch schwer auszuhalten.

Im Sputnik-Kino beim Vinylrausch #54Dass wir es hier mit Kunst zu tun haben, hinter der ein musikalisches Konzept steckt, hat uns Sven Beckstette erläutert. Der Kurator der Ausstellung Broken Music Vol.2 hat das Programm aus Werken zusammengestellt, die in der laufenden Ausstellung im Hamburger Bahnhof präsentiert werden.
Ganz herzlichen Dank für den bereichernden und beeindruckend runden Abend!

»Was soll die Eile?«

La Monte Young hat mit seinem Ansatz der ‘langen Töne‘ und sehr langsamer Veränderungen des Klangbilds verborgene Kontinuitäten in der Musik ans Licht bringen wollen. Die langen Töne wurden zu rituellen Improvisationen verwendet und meist von einem durchgängigen Grundton, dem Drone, begleitet. Damit schließt La Monte Young auffallend deutlich an indische Ragas und Gesangstechniken an. Diese Art ‘Aneignung‘ von Traditionen aus anderen Kulturkreisen, die leicht modifiziert und mit einem technisch-theoretischen Überbau versehen in einen Kunst-Kontext integriert werden, wurde von den Zuhörern nach dem beeindruckenden Hör-Erlebnis diskutiert.
BackCover Laurie Anderson - Big Science

»Wir werden alle (r)untergehen, zusammen.«

Sehr viel leichter zugänglich war danach Laurie Andersons ‘Big Science‘, das wir als Album des Monats komplett gehört haben. Musikalisch wirkten die langen, repititiven rhythmischen Elemente und die sanften elektronischen Sounds sehr beruhigend. Wir waren als Zuhörer hier nicht mehr auf uns zurückgeworfen, sondern konnten dem langsamen Verdichten des Grooves oder dem An- und Abschwellen der elektronischen Sounds und dem Sprechgesang der immer wieder von einem Vocoder modifizierten Stimme von Laurie Anderson folgen.

Faszinierend aktuell sind auch die Texte, in denen Laurie Anderson den spätkapitalistischen Menschen als isoliert aber nicht allein charakterisiert. Wir haben uns der Big Science, der alles beherrschenden Wissenschaft, verschrieben, schaffen immer komplexere Systeme und sammeln immer größere Datenmassen, in denen wir auch heute noch vergeblich nach Erkenntnis oder gar Wahrheit suchen. Über vierzig Jahre nach dem Beginn des Computerzeitalters hat Laurie Andersons melancholischer Humor auf diesem Album bei aller Hoffnungslosigkeit etwas Tröstliches.

Überhaupt klingt das Album musikalisch und inhaltlich keinen Tag gealtert und wurde von uns mit Staunen und großem Vergnügen wiederentdeckt. Tatsächlich waren mehrere Zuhörer dankbar für diese Erinnerung an ein wirklich großes Kunstwerk: Sie haben es in ihrer Sammlung, aber zu Unrecht und zu lange ignoriert.

Black Studies

Nach der Pause hat uns Sven Beckstette in die Welt des Musikers, Produzenten und Installationskünstlers Lamin Fofana eingeführt. Sein ‘Darkwater‘ hat den Bogen dieses Abends perfekt geschlossen: elektronische Gewitter prasselten in Zeitlupe auf uns nieder, akustische Blitze peitschten durch die dunkle Sputnik-Bar, während langsam große Synthesizer-Wolken durch den Raum waberten. Eine faszinierende Tonskulptur, die uns erleichtert und versöhnt aus diesem großen Abend entlassen hat.

Danke an Sven Beckstette für die Auswahl und Einführung, an den Vinylrausch-Fan Rainer, der extra aus Frankfurt/Main angereist ist und an die Wortmeldung zu der ›dritten Dimension des Knisterns‹ beim La Monte Young Album: diese raumöffnende Ebene hat viel mit der Faszination des Vinyls als Medium zu tun.
Und zu guter Letzt geht der Dank an Carsten für seinen jahrelangen Einsatz beim Transport der Anlage und dem Aufbau für den Vinylrausch – das ist unerreicht!

Vinylrausch #54
1. Lamin Fofana – Darkwater (2021)
2. Laurie Anderson – Big Science (1982)
3. La Monte Young/Marian Zazeela – The Dark Album (1969)
4. Der minimale Vinylrausch #54 – Musik im Zeichen der Kunst
5. Vinylrausch #54, eine minimale Rückschau

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