Skip to content

Vinylrausch #38 – Englische Barden gestern und heute

Endlich konnten wir bei diesem letzten Vinylrausch, den wir live erleben durften, ein echtes Meisterwerk hören: Robert Wyatts ‘Rock Bottom’ ist eine mysteriöse Séance, ein zartes, intensiv pulsierendes Sound-Meer, an dem sich interessanterweise die Geister scheiden. Nach der Online-Version dieses stimmigen Rausches #38 gab es zwei Arten von Feedback: Die eine Hälfte betonte die Schönheit von Wyatts Vortrag, die andere Hälfte konnte mit ihm weniger anfangen, fand dagegen die vielleicht etwas zugänglicheren, aber im Grunde nicht weniger aufgeladenen Grooveflächen von Aquaserge bemerkenswert.

Das eine der schönsten, verwirrendsten und emotionalsten Alben überhaupt zur Diskussion stehen könnte, muss wohl etwas mit der immer wieder betonten ›Subjektivität‹ beim Musikgenuss zu tun haben – wenn es nach mir gehen würde, bekäme ‘Rock Bottom’ ein objektives Sternchen!

Beruhigend, dass ich da nicht ganz allein bin: die ungewöhnliche, sehr persönliche Platte bekommt in vielen sehr persönlichen Rankings einen der vorderen Plätze, zu Recht, wie gesagt … ;-)

Jazz-Rock: ja – Fusion: nein

Wyatt war über seine Mitarbeit bei Soft Machine sozusagen die Überleitung von unserem Jazz-Rock-Abend beim Vinylrausch #37 zu diesem aktuellen Rausch: die Kunde von Bläserbands wie Chicago oder Blood, Sweat & Tears ist u. a. von Soft Machine nach England getragen und dort u. a. von If aufgegriffen und in den verspielten Jazz-Rock des Canterbury-Sounds integriert worden.

Für Robert Wyatt ging dieser Ansatz auch bei den Soft Machine zu weit, er wollte keinen Jazz-Rock im Sinne von Fusion machen, sondern bevorzugte »die leichte Beweglichkeit einer Jazz-Rhythmus-Sektion, zusammen mit der erdigen Einfachheit eines Pop-Songs.«

Vielleicht ist der Kern von ‘Rock-Bottom’ tatsächlich die verwirrende Leichtigkeit, mit der Wyatts Songs eine Waage finden zwischen sanftem Pop, verrätselter Dada-Ästhetik und packenden Emotionen. Sie ziehen einen immer weiter in ihren schrägen Bann und – zumindest ich – kann von den dramatischen Orchesterpassagen, die beide Seiten des Albums beschließen, nicht genug bekommen. Beim Sound lasse ich dann auch nicht mit mir verhandeln: Das Ganze war laut abgespielt über unsere Vinylrauschanlage ein echter Genuss!

Mitreissend nüchterne Zukunftsvisionen

Label Richard Dawson 2020Richard Dawson hat uns dann aus dieser emotionalen Trance mit harten Heavy-Metall-Rhythmen geweckt. Das kurze Intro von ‘Black Triangle’ läutete eine Reihe von Songs über merkwürdige Hobbys, übertriebene Vaterliebe und die brutalen Zustände unserer durchökonomisierten Wirklichkeit ein.

Die Intensität des Gesangs von Richard Dawson, seine Stimme und ihr Duktus kommen Robert Wyatt verblüffend nahe, eine musikalische Kombination, die vom Vinylrausch-Publikum mit zufriedenen Gesichtern bemerkt wurde. Dawson bot uns ein wildes auf und ab durch die Realität einer Zukunft, die uns schon eingeholt hat: Sein Album mit dem Titel ‘2020’ ist Mitte 2019 erschienen und war damit eine nüchterne Zukunftsvision, die sich erwartungsgemäß bewahrheiten sollte.

Eine überraschende Platte, voller verstörender, gut nachvollziehbarer Storys, abwechslungsreicher Melodien und überhaupt faszinierend handgemachter Musik auch das eine Parallele zu Wyatt!

Beim letzten Album mache ich es mir hier mal einfach und Verweise auf die Hinweise zu Aquaserge in der letzten Review, denn auch die zweite Seite der Platte ist überaus hörenswert.

Vinylrausch #38
1. Aquaserge – laisse ça être (2017)
2. Richard Dawson – 2020 (2019)
3. Robert Wyatt – Rock Bottom (1974)
4. Vinylrausch #38 – Englische Barden gestern und heute

Dieser Beitrag hat 0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

An den Anfang scrollen
Suche