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Die hymnische Review – Vinylrausch #61

Es war ein wahrhaft hymnischer Rausch, mit dem wir uns von David Crosby verabschiedet haben. Crosby ist, neben Wayne Shorter, Jim Gordon, Ryuichi Sakamoto, Sinnead O’Connor, Robbie Robertson, Carla Bley oder Shane MacGowan, einer der vielen Künstler, die uns in diesem Jahr verlassen haben. Sein Debüt-Album If I Could Only Remember My Name von 1971 ist voller großartiger Songideen, groovig, theatralisch, hymnisch und doch erdig genug, um perfekt für ein Gedenken geeignet zu sein.

 

 

Acht Meilen über der Erde

1965 hat Crosby als ein Teil der legendäre The Byrds den vermutlich ersten psychedelischen Rocksong mit geschrieben. The Byrds waren, wie viele der damaligen Rock- und Popgruppen, für jeden Song auf der Suche nach einem neuen Kick, einem neuen Sound, einer neuen musikalischen Formel.

Beeinflußt von Dylan und den Beatles versuchte auch die einstige Gitarren-Pop-Band dabei aus dem engen Schema des AABA-Popsongs auszubrechen. Es ging um die Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, nach einem unmittelbaren Zugang zu den eigenen Gefühlen und Erfahrungen.

The Byrd integrierten dabei zunehmend exotische Sounds in ihren Country-/Folkrock. Auf ’Eight Miles High’ ist schon in der Single-Fassung von 1965 deutlich der Einfluss von John Coltrane zu hören: die ungewöhnliche, durchgehende Basslinie ist ein Merkmal seines Jazz-Trios, genauso wie der Drone, der von Gitarre und Gesang gehaltene Ton, den Coltrane aus der indischen Musik adaptiert hat.

Während die von uns gehörte Live-Fassung von dem Doppelalbum (Untitled) über sechzehn Minuten einen psychedelischen Wirbel erzeugt, ist der Text weniger lyrisch als vielmehr eine faktische Zusammenfassung der England-Tour der Byrds 1964, in der sie das regnerische Wetter und die Ablehnung durch die englische Musikpresse beklagen.

Ich schwöre, es war jemand da

If I Could Only Remember My Name’ ist die der ersten Solo-Platte von David Crosby. Das Album hat den typischen Westküsten-Sound und ist im Grunde ein Muster der ’Hippie-Musik’: akustisch, entspannt, leicht psychedelisch – sie klingt, wie ein einziger langer Sonnenaufgang, entspannt und dramatisch zugleich.

Obwohl David Crosby kein einfacher Mensch war und mit seiner aufbrausenden Wesen die Freunde immer wieder vor den Kopf gestoßen hat, benötigte er als Songschreiber die Gruppe, um wirklich große Songs entwickeln zu können. Die Stücke für dieses Album sind dann auch in Zusammenarbeit mit einer ganzen Reihe von Musikern entstanden, dazu gehörten: Jerry Garcia, Phil Lesh (Greatful Dead), Grace Slick, Paul Kantner (Jefferson Airplay), Michael Shrieve (Santana) und natürlich Joni Mitchel, Neil Young, Graham Nash und manchmal auch Steven Stills.

Crosby hat auf dem Album den Verlust seiner Freundin Christine verarbeitet, die Ende 69 bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. In dem großartigen ’Cowboy Movie’ geht es allerdings um die vier Helden, die kurz vorher das Meisterwerk Deja Vu zusammen aufgenommen haben: Stephen Stills wird in dem Song zu Eli, Graham Nash ist The Duke (»our dynamiter«), Neil Young ist Young Billy (der »Trouble-Maker«) und Crosby selbst ironisiert sich als Fat Albert.

Nach dieser textlastigen Auseinandersetzung mit den Egos einer Supergroup kommt die zweite Seite fast ohne Worte aus. Sie endet in einer hymnischen Hall-Orgie, in der sich Crosby selbst als dramatischen Chor vervielfältigt. Ein bewegender Abschluss für ein großes Album, das beim Vinylrausch mit Applaus gewürdigt wurde.

Der alte Baum erhört das Gebet – Burials

In einem gewagten Bogen ist auch der englische Folkrock von der Westcoast-Psychedelia beeinflusst worden – das war zumindest die These, die eine junge englische Band ins Spiel brachte: Fuzzy Lights sind ein Kollektiv, das sich um das Paar Rahel und Xavier Watkins gruppiert. Sehr nette Menschen, die mir innerhalb von wenigen Minuten die Texte ihres beeindruckenden Albums Burials zugeschickt haben.

Auf der ersten Seite wird das ernste Thema einer Fehlgeburt von Sängerin und Violinistin Rahel mit hoher Stimme und klarem Violinenstrich besungen. Den Backbeat liefert eine durchgehende Bassfigur, die uns deutlich an ’Eight Miles High’ erinnert hat. Hier aber explodiert der emotionale Folksong im zweiten Drittel in eine Feedback-Orgie, die im zweiten Song dann zu einer langen Noise-Fläche mutiert. Moderne psychedelische Musik, die uns mit monotoner Kraft in eine Art Postrock-Rausch versetzt hat.

Mit vielen angeregten Gesprächen ist der letzte Vinylrausch vor der Weihnachtspause dann höchst angenehm zu Ende gegangen.

Vinylrausch #61
1. Fuzzy Lights – Burials (2021)
2. David Crosby – If I Could Only Remember My Name (1971)
3. The Byrds – (Untitled) (1970)
4. Die hymnische Review – Vinylrausch #61

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