Der überraschende Yes-Sound
Ganz anders bei dem weit weniger aufregend erwarteten Album von Yes. Hier gab die große Soundverteilung über die ganze Leinwand und die diesmal gut am Limit eingestellten Lautstärke der ersten Seite von The Yes Album einen ganz neuen, viel schärfer akzentuierten, offenen und durchsichtigen Sound, der die Platte in einem neuen Licht erscheinen ließ. Die Instrumente lösten sich voneinander, klangen individuell scharf getrennt und fanden doch in dem gleichberechtigt offenen Sound dieser Platte alle wieder zueinander.
Schon bei den Moody Blues, deren The Days Of Future Passed ja als die erst Platte des Progressiv Rock gilt, fehlte den abwechselnd aufgenommenen rockigen und symphonischen Passagen ein zwingender Zusammenhalt. Die Fusion von Rock und Klassik war hier zwar erkennbar Programm, wurde aber musikalisch nicht schlüssig vollzogen. Bei der Vorbereitung für diesen Vinylrausch kam ein ähnlicher Verdacht auch bei The Yes Album auf: hier haben drei Masterminds individuell sehr unterschiedliche Musik geschrieben und sie dann, bei Starship Trooper sogar ganz deutlich unter dem Oberbegriff einer Suite, musikalisch zusammengesetzt und aneinander angeglichen.
Was jedoch bei der Recherche noch einzeln tönte und eher auseinanderzudriften schien, kam beim Vinylrausch plötzlich zusammen. Hier aus der Leinwand klang The Yes Album klar, scharf, kühn und zwingend. Der saubere Sound und das konzentrierte Hören im dunklen Raum brachte das Verbindende dieser Musik zu Tage – eine dieser unerwarteten Überraschungen, die aus dem unbedarften Musikhören erst einen richtigen Vinylrausch machen.
Southern-Rock, inspiriert von Miles Davis
Noch einmal zurück zum Blues ging es mit In Memory of Elizabeth Reed von dem immer wieder großartigen Live-Album Live At Fillmore East der Allman Brothers Band. Bei diesem Stück hat irgendetwas überirdisches zugeschlagen, etwas hat diese ja an sich schon «besondere Band« mit zwei Schlagzeugern und zwei Leadgitaristen perfekt getimt zu einem unglaublich dynamischen Climax getrieben. Man meint noch immer den Funken zu spüren, der diesen ungeheuren, genauso wilden wie kontrollierten Energiefluss zwischen den Musikern ausgelöst hat.
Elizabeth Reed ist, wie Stairway to Heaven, eine auf einen Höhepunkt zulaufende Komposition, die von den Allman Brothers live häufig gespielt und für ausgiebige Jams genutzt wurde. In der von uns gehörten Fassung von At Fillmore East findet dieses Stück zu seiner perfekten Form: voller berstender Energie, die ständig in unkontrollierte Improvisationen auszubrechen droht, aber von der ungeheuren Konzentration der Bandmitglieder an diesem Abend auf wunderbare Weise in Schach gehalten wurde. Ohne jeden Hänger, ohne Pause oder sonst irgendeinen Makel, genauso cool wie leidenschaftlich, genauso frei wie perfekt aufeinander abgestimmt groovt die Band effektiv und ohne eine einzige Note zu viel durch diesen von Miles Davis´ Jazz infizierten Southern-Soul-Blues. Ein wahrhaft ergreifendes Meisterwerk – vielleicht an einigen Stellen etwas scharf in den Höhen, aber sonst ohne jeden Tadel und eher nicht von dieser Welt…
Ein würdiges Ende für einen zum Schluss leider wieder etwas hektischen Vinylrausch, der einzig und allein von Nummer XIX getoppt werden könnte. ;-)
Oder ging es euch anders?
Tja, was will man sagen: Ich bin sehr dankbar für diesen Abend, nicht nur, dass mir die Musik auf eine Weise nahe gebracht wurde, die einiges in der Gewichtung verändert hat: Das Yes Album hatte ich früher nie so stark eingeschätzt, wie an diesem Abend – nicht nur wegen der Erstpressung und wegen des konzentrierten Hörens, sondern auch wegen Jörgs interessantem Vortrag. Was Goethe für das Sehen festgestellt hat – “Man sieht nur, was man weiß” – gilt auch für das Hören, so dass die Werkeinführungen für mich stets ein großer Genuss sind. Earopener sozusagen.
Spannend an diesem Abend waren auch die Unterschiede in der Präsentation: Zum Yes-Album gab es keinerlei Bilder, aber den Text, quasi Musik pur, während es bei Led Zeppelin noch ausgesprochen anschauliche Bezüge zu einem Film gab. Auch hier war der Vortrag sehr erhellend – und absolut meisterhaft war das Gegeneinandersetzen von “Stairway to Heaven” und Filmsequenzen aus “Almost Famous”. Beeindruckend war auch die Sachkunde vieler Besucher, die den Vortragenden ergänzten. Für mich war das ein grandioser Abend.
Schön, das es dir gefallen hat! Yes haben mich auch verblüfft, das Album war wirklich ein Erlebnis. Mich würde da aber interessieren, was dir besser gefallen hat: Musik pur ohne Bilder oder doch mit Bildern zum Text?
Mit der Antwort habe ich nun bis zum heutigen Vinyrausch gewartet, der bestätigt hat, was ich eigentlich auch vorher schon dachte, mir aber nicht ganz sicher war: Die Bilder sind dermaßen gut ausgesucht, dass sie einen echten Mehrwert bilden. Heute (15. März) zum Beispiel gab es Bilder des jungen John Cale von 1973 (?) und des um ca. 40 Jahre gealterten: Sehr beeindruckend. Die Bildauswahl ist stets stilsicher und von hoher ästhetischer Qualität. Ich halte auch die Anzahl an Bildern für die richtige: Zu viele würden wohl auch vom konzentrierten Musikhören ablenken, aber so ist es sehr schön. Und wenn es einmal nicht reicht, zu den Texten auch noch Bilder herauszusuchen: Kein Problem. Vielen Dank für das Alles, Jörg!
Dem (Kommentar von Christian) kann ich mich nur anschließen :) !
Danke für die Kommentare, dann können wir das in der Richtung weiterentwickeln.
Und: Gern geschehen! ;-)
Jetzt sind übrigens auch ein paar Eindrücke vom letzten Vinylrausch XIX im Rauscharchiv zu finden!
Jörg