Die betonte Leerstelle – Review zum Vinylrausch #67
Was ein Abend! Nach der Sommerpause schienen Zuschauer und Veranstalter gleichermassen erfreut zu sein, dass endlich wieder analoge Alben zum gemeinsamen Hören aufgelegt werden konnten.
Das Programm klang wieder einmal herausfordernd und trotzdem war die Kinobar bis auf den letzten Platz belegt – bei Frank Zappa als zentralem Künstler des Abends nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit. Seine 1974 veröffentlichte Platte Apostrophe (‘) war unser Album des Monats und damit Dreh- und Angelpunkt des Abends. Es lag in mehreren Pressungen vor, zwei deutsche aus den Siebzigerjahren, eine amerikanische Quadradisc 4-Kanal Ausgabe und eine kanadische ›Flexidisc‹ aus dem Jahr der Ölkrise.
Vinyl-Experte Frank Wonneberg zu Gast
Die letztgenannte Pressung hat der Vinyl- und Zappa-Experte Frank Wonneberg mitgebracht, der in seiner Einführung zu dem Album einige spannende Details aufdeckte. Die Frage, was der Apostroph im Zappa-Kosmos bedeuten könnte, beantwortete er mit einem Hinweis auf die letzten Worte von ‘Stink-Foot‘, in denen Zappa bei allerlei Verboten, Zurechtweisungen und Ausflüchten ausgiebig Gebrauch vom Apostroph macht:
“It doesn’t, ‘n you can’t! I won’t, ‘n it don’t! It hasn’t, it isn’t, it even ain’t ‘N it shouldn’t . . . It couldn’t!”1
Diese Art Ausflüchte waren nichts für Zappa, der statt seiner Familie die Arbeit immer an erste Stelle gestellt hat – die daraus resultierenden Verletzungen wurden von seine Tochter Moon Unit Zappa gerade eindringlich in Earth to Moon, ihrem Porträt einer dysfunktionalen Familie, geschildert. Das Buch ist in der Woche vor dem Vinylrausch #67 auf Deutsch erschienen und war darum natürlich auch bei uns Thema.2
Quadradisc Mix über 2-Kanal Stereo abgetastet
Gehört haben wir dann die A-Seite von Apostrophe (‘) in der 1974 erschienenen amerikanischen Quadradisc-Pressung und die B-Seite in der extra dünnen, ebenfalls zeitgenössischen kanadischen Pressung. Der auf vier Kanäle verteilte Mix hatte auch in der Stereowiedergabe leichte Vorteile, der Sound war offener, die Stimme von Zappa präsenter und die verschiedenen Instrumente besser voneinander getrennt.
Die erste Seite von Apostrophe wird von der Yellow-Snow-Suite bestimmt. Zappa eröffnet den abgedrehten Textfluss mit einem Traumbild: »Dreamed I was an Eskimo …«, während im Sound der eisige Wind der Arktis bläst. Die Musik begleitet, kommentiert und spitzt den Text in all seinen Windungen und Worterfindungen zu. Immer wieder reagieren beide Ebenen aufeinander, mal enger verschränkt, mal als Zäsur. Jede Kapriole, die die absurde Geschichte aus dem Land der Eskimos schlägt, wird musikalisch verarbeitet und in ikonische Breaks, Riffs und Fanfare umgesetzt. Dazu kommen atemberaubende Tempiwechsel und Soloparts besonders von Ruth Underwood, Jack Bruce und Zappa selbst.
Apostrophe (‘) oder A’POS ! TRO’PHE (!) ?Produced, arranged & struggled with: Frank Zappa
Auf den jeweils nur gut 15 Minuten langen Albenseiten finden sich unzählige musikalische Miniaturen, die sich in kollektive Gedächtnis der Zappa-Fans eingebrannt haben. Ein sehr kurzweiliges Erlebnis, dass durch die Songbook-Einblendungen auf der Leinwand einerseits abgerundet und andererseits auch verkompliziert wurde: Es war garnicht so einfach, der dichten Musik und dem komplexen Text nebst deutscher Übersetzung gleichzeitig zu folgen …
Die erste Begegnung mit Frank Zappa
Kurz vor einem Konzert in Hamburg in den Siebziger Jahren war Frank Zappa DJ bei der NDR-Sendung Musik nach der Schule. Diese Aufnahme, in der Zappa über seine musikalischen Einflüsse und Vorbilder spricht, haben wir als Einleitung in diesen Abend gehört. Hier ein ganz kurzer Ausschnitt daraus:
Produzent, Gitarrengott und Balladen-Sänger Todd Rundgren
Als Intro aber haben wir mit Todd ebenfalls das Werk eines begeisterten Soundtüftlers und, betrachtet man die ähnlich gestalteten Cover, eines ebenso vom eigenen Portrait überzeugten Musikers aufgelegt. Der Wechsel zwischen sphärischen Soundexperimenten, von starken Melodien geprägten Popsongs, Musical- und psychedelisch krachenden Rocknummern war kurzweilige und bot eine Menge Überraschungen.
Die Sounds besonders der synthesizerdominierten Songs stecken tief in den Siebzigern und haben dabei zur Freude einiger Zuhörer mit aufdringlichen Phasenverschiebungen und Tonmodulationen gearbeitet. Gefehlt hat dann aber doch ein irgendwie gearteter Zusammenhang, der aus der Sammlung ungewöhnlicher Ideen ein echtes ‘Werk’ hätte machen können.
Handgemacht, erdig und kontrovers: Pere Ubu
Ans Eingemachte ging es schließlich mit Pere Ubu. Die Musik war auch hier herausfordernd und vielschichtig, wenn auch auf ganz andere Weise als bei den beiden vorher gespielten Alben. Sie klang handgemacht, erdig und kontrovers: Die einzelnen musikalischen Layer zogen sich kontinuierlich durch die Songs, sie umkreisten einander wie ein Bündel Schnüre, das ineinander verdreht ist und dabei mal die eine, mal die andere Toneben freilegt. Es fiel der Mut auf, den es braucht, um die Stimme von Mastermind David Thomas so uneitel verschwommen in das Soundgestrüpp einzuweben. Zu der wirklich beglückend luftig-komplexen Musik kommen Texte, die deutlich über Verlust, Abschied und Grenzen sprechen und trotzdem leicht und selbstironisch bleiben. Trouble On Big Beat Street war für einige der Anwesenden die Überraschung des Abends.
Das Ganze ist des Hunde-Herrchens Antwort auf die Erkenntnis, die Fido (FirstDog) ihm mitgeteilt hat:
It should be easy to see The crux of the biscuit Is the Apostrophe (‘)
Und das ist wiederum ist in dem Songtext die Antwort auf die alte Frage, die Fido vor langer Zeit gestellt wurde: was denn nun eigentlich seine ›konzeptionelle Kontinuität’ sei?!
(This is a dog talkin’ now) What is your Conceptual Continuity?
Zappa scheint uns hier durch eines seiner ›Leitmotive‹ sagen zu wollen, dass die werkimmanenten Zusammenhänge, seine internen musikalischen und textlichen Zitate, Verweise und Referenzen das Produkt eines Machers sind, der kein Nein, kein Könnte oder wäre möglich kennt. Denn das Apostroph kürzt im Amerikanischen das NO zusammen, bzw. steht am Wortende als Synonym für die Verneinung! Für Zappa ist die Frage nach der ‘konzeptionellen Kontinuität’ als zuerst mal eine Frage nach dem Output. Er ist ein Macher, der in seiner unbändigen Arbeitslust einfach macht. Er plündert und erweitert ständig sein eigenes Werk, legt Fährten darin, vermischt Motive und erzeugt so Zusammenhänge, die aus Spiel und Assoziationen geboren sind. Nur so, wenn man die Zweifel ignoriert und loslegt, kann etwas wie Kontinuität entstehen. Fido ist eines dieser durchgezogenen Motive, mit denen Zappa in unterschiedlichen musikalischen und textlichen Situationen spielen kann. Fido ist ein kurzer, prägnanter Name, der als musikalische Zäsur genutzt oder mit dem berühmten -Arf gar zum Sprechen gebracht wird. Dass Fido der First Dog ist, dass er überhaupt ein Hund ist, entspringt einem Zufall: in der Werbung für ein Fuss-Spray, die Stinck-Foot inspiriert hat, reagiert ein Hund auf die qualmenden Socken seines Herrchens. Diese Szene bereitet den Boden für weitere Hunde- bzw. Poodle-Songs, die besonders Live mit ausgiebigen, immer neu improvisierten Geschichten am Leben gehalten werden. ↩︎
Einen sehr aktuellen und tief gehenden Einblick in das familiäre Vermächtnis von Zappa und das Verhältnis der vier Geschwister untereinander gibt dieser ausführliche Artikel in der Washington Post! ↩︎
Es gibt nur wenige Alben, bei denen lange vorher schon sonnenklar ist, dass sie zu ihrem Jubiläum beim Vinylrausch gefeiert werden müssen. Ball Pompös ist eines davon.
1973
Atlantis – Atlantis
Atlantis klingt mit der kraftvollen Stimme von Inga Rumpf und dem breiten, im Progrock angesiedelten Genremix sehr international – beim VR #69
1974
Udo Lindenberg & das Panik-Orchester – Ball Pompös
Ball Pompös hat mit intelligenten, einfühlsamen Texten die deutsche Sprache elegant und weich in der Rockmusik etabliert. Gehört beim deutschen VR #69
1982
Foyer Des Arts – Von Bullerbü Nach Babylon
Von Bullerbü Nach Babylon steckt voller wunderbarer Wortwendungen und provokanter Alltagsbeobachtungen. Ein Perle des deutschen Art-Rock beim VR #69
Was eine Ikone der Jazzgeschichte und das beste Rockinstrumental überhaupt miteinander zu tun haben ... gehört beim VR #68!
1959
Miles Davis – Kind of Blue
Kind of Blue ist das Jazzalbum schlechthin und eines der einflussreichsten Alben überhaupt. Wir haben beim VR#68 dem Einfluss auf die Rockmusik nachgehört.
1969
Julie Driscoll, Brian Auger & The Trinity – Streetnoise
Streetnoise ist alles andere als Straßenlärm: Die erstaunliche Stimme von Julie Driscoll hat beim VR#68 den All Blues von Miles Davis gesungen
Ein furioses Saisonfinale mit packenden Songs auf allen drei Alben. Satte Grooves, komplexe Storys und eine Handvoll Hits...
1974
Bob Marley – Natty Dread
Natty Dread ist radikal, voller Hoffnung auf Veränderungen, mit betörenden Melodien und durchdringendem Beat – Album des Monats beim rebellischen VR#66
1979
The Clash – London Calling
London Calling eines der wichtigsten Rockalben überhaupt, nicht nur der 80er Jahre. Ein Stilmix von Rockabilly über Gipsy-Jazz, Garagenrock und natürlich Reggae – gehört beim VR#66
2003
Ben Harper – Diamonds On the Inside
Diamonds On the Inside ist ein verwirrender Stilmix, abwechslungsreich, Tanzbar und voller Ohrwürmer. Erster Song: eine Reggae-Hymne. Gehört beim VR#66
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