Die Musik auf dem Album ist von funkigen Grundrhythmen geprägt, über die eine ganze Reihe von wilden, meist nur angerissenen Pattern gestapelt sind. Die treibenden Rhythmen sind ständigen Angriffen ausgesetzt und müssen sich gegen die von allen Seiten auf sie herein prasselnden Arabesken wehren. Dazu kommen kantige Rock-Riffs und Ansätze zu Gitarrensoli, die aus Bettys, von Chuck Berry, Big Mama Thornton und Howlin’ Wolf beeinflussten Rock’n’Roll-Kindheit zu stammen scheinen.
Bei Get in There, dem ersten Stück auf der B-Seite, wird die führende Gitarre langsam aber sicher unter dem immer stärker anschwellenden Chor von Backgroundsängerinnen verschüttet. Überhaupt haben die weiblichen Stimmen eine besondere Rolle in dieser Musik: Bettys Stimme ist hart und kantig, sie spricht, ruft, brüllt und presst ihre Text heraus. Das hört sich zum Teil so an, als seien mehrere Spuren übereinander gelegt worden und klingt auf jeden Fall sehr überzeugend. Man nimmt dieser Frau ab, das sie ihre Geschichten selbst erlebt hat, das macht diese Platte sehr authentisch – im Gegensatz zu vielen anderen Rockpoeten, denen die Riffs wichtig waren, deren Texte aber nur gut klingen musste, Sinn brauchten sie nicht zu ergeben.
They Say I’m Different ist eine vibrierende Entdeckung, die Kopf und Körper in ihren Bann zieht – und mit der wir den Funk beim Vinylrausch angemessen begrüßt haben.
Miles Davis – In A Silent Way (1969)
Miles Davis war Ende der 60er Jahre etwas orientierungslos. Er hatte über zwei Jahrzehnte als einer der bahnbrechenden Innovatoren den Jazz vorangetrieben und sich als cooler Outsider immer wieder neu erfunden. Für ihn war es mehr als ungewohnt, das er plötzlich nicht mehr hip war und das junge schwarze Publikum nun den «I’m black and I’m proud» -Rufen von James Brown folgte oder zusammen mit Jimi Hendrix in den Himmel des elektrischen Blues aufbrach.
Miles war also auf der Suche, und Betty hat ihm mit ihrer unbedarften Energie, ihren Kontakten und ihrer Freundschaft mit Jimi Hendrix neue Wege aufgezeigt. Sie hat Miles dazu inspiriert, neben dem progressiven Jazz und der Klassik, die er damals hörte, seine Ohren auch für den Sound der Zeit zu öffnen. Und das kann man schon auf In A Silent Way hören.
Die erste Seite wird von dem 18 Minuten langen Shhh… Peaceful eingenommen. Das Stück konstruiert einen einzigen großen Klangraum, in dem die Zeit von Tony Williams metrischen Schlägen ausser Kraft gesetzt wird. Der Raum wird zunächst von Joe Zawinuls Orgel gefüllt und von John McLaughlins Gitarrenriffs und Herbie Hancocks Piano begrenzt. Miles Davis Trompete öffnet das Ganze dann in eine neue, emotionale Dimension, der die enge Anbindung an den steten Beat Rückhalt gibt. Die gelassene Ruhe, mit der die schwebenden Trompetentöne der Nervosität der jungen Tastenspieler begegnet, entfaltet eine emotionale Kraft, die diese Platte zu einer aussergewöhnlichen Hörerfahrung macht. Das, was wir hier gehört haben, ist kein Jazz und auch kein Rock’n’Roll – aber es wäre nicht möglich geworden, ohne zwei Jahrzehnte anhaltende Entwicklung des Rock von der körperbetonten Tanzmusik des Rock’n’Roll hin zu den psychedelischen Improvisationen beatbetonter Instrumentalisten wie Jimi Hendrix, den verzerrten Obertönen komplexer Power-Rock Trios oder dem drängenden Funk-Beat von James Brown.
Eine fantastische Platte, zu der Lester Bangs unmittelbar nach Erscheinen im November 1969 geschrieben hat: This is the kind of album that gives you faith in the future of music. So ist es.
Robert Palmer – Sneakin’ Through the Alley with Sally (1974)
Sneakin’ Through the Alley with Sally ist die erste Soloplatte von Robert Palmer. Sie wurde mit der Creme de la Creme des Südstaaten-Funk in drei verschiedenen Studios in New York und New Orleans aufgenommen. Die Bands haben Robert Palmers Songideen mit groovigen Jams unterfüttert und ihm den perfekten Hintergrund für seine warm modulierte Stimme geliefert. Die dichten Songs sind von einem zurückhaltend funkigen New-Orleans Sound geprägt, luftige Soul-Grooves liegen über dem lässigen Beat. Palmers Stimme gibt den Songs den emotionalen Bogen und wird von den recht aktiven Backgroundsängerinnen mal zu Ecken und Kanten herausgefordert, mal wie von einem hochflorigen Teppich abgedämpft und unterfüttert.
Palmer zeigt gleich auf dem ersten Stück, dem Lowell George Cover Sailing Shoes, die Stärken seiner Stimme, mit der er sich geschickt zwischen die funkigen Rhythmusintrumente legt und die auch vor dem süßen Chorgesang der Sängerinnen ihre rauhe R&B-Intensität nicht verliert. Das klingt fast schlüssiger, als Lowell Georges eigene Interpretation seines Songs. Highlight ist das Titelstück, das herrlich vor sich in groovt und Palmer die Möglichkeit bietet, durch ständige Tempiwechsel zu brillieren.
Eine schöne, runde Platte, die aber trotz der ehrlichen Bemühungen von Lowell George und seinen beiden Kollegen von Little Feat nicht ganz an die Qualität von Dixie Chicken heranreicht. Aber wir sind mit Sneakin’ Through the Alley with Sally ja auch schon im Jahr 1974 angelangt…
Ob es Palmers offensichtlich ja gute Verbindungen zu Island Records waren, oder ob es doch sein blendendes Äusseres war, wie eine gute Freundin von Betty Davis in der Doku Tales from the Tourbus behauptet, jedenfalls soll Betty Davis 1974 mit ihm zusammen gewesen sein. Und sie hat dann für ihre nächstes Album tatsächlich einen Vertrag bei Island Records bekommen.
Ihr hat das aber eher kein Glück gebracht, ihre Musik wurde nicht im Radio gespielt und die Plattenfirma weigerte sich daraufhin, die schon eingespielte vierte Platte herauszubringen. Und auch Robert Palmer hat es im Grunde kein Glück gebracht, er wurde in den Achtzigern zu einem erfolgreichen Pop-Star, mußte dafür aber dann doch eher dröge Mainstream-Hits wie Addicted to Love oder Simply Irresistible singen. Von dieser Art poppiger Gebrauchsware ist sein Debütalbum Welten entfernt.
Insgesamt war es wieder ein abwechslungsreicher, aufregender und verwirrender Rausch – was will man mehr?!
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