Für viele sind die achtziger Jahre musikalisch ja ein eher ein schwieriges Gebiet, und daran liegt es wohl auch, das wir bisher beim Vinylrausch erst wenige Platten aus dieser Zeit gehört haben.
Gegen Ende des Jahrzehnts tauchte aber ein Musiker auf, der die sauberen Takten und kalten Beats dieser Zeit mit den warmen Klängen der Vergangenheit konfrontierte: Lenny Kravitz bekannte sich offen zu seinem Retro-Sound, nutzte analoges Equipment und hauchte den schon fast vergessenen Marshall-Verstärkern neues Leben ein.
Making mistakes was my game
Let Love Rule war unsere Platte des Monats beim Vinylrausch #29, der als Lennon/Lenny-Rausch begann und dann aber doch irgendwie ein Retro-Rausch wurde.
Es ist ein immer noch faszinierendes Debüt, das Lenny Kravitz vor dreissig Jahren aufgenommen hat, ohne einen schwachen Song und voller Spannung und Energie. Kravitz wechselt die Instrumentierung sehr geschickt, mal sind es sanfte Streicher, die die Melodie führen und in aufregendem Kontrast zu dem harten Schlag der Rhythmusgruppe stehen, mal ist es die warme Orgel, über der sich die immer energetischer steigernde Stimme von Kravitz mit ihren Ecken und Kanten abhebt. Die Songs leben von der großen Dynamik, dem loopartigen Aufschaukeln des zentralen Themas und der sich daran abarbeitenden rauhen Stimme des Sängers.
Wirklich erstaunlich ist die Vielseitigkeit der Songs auf Let Love Rule, von einfachen Riffs und Hooklines durchdrungen, klingen sie noch Tage später im Kopf nach. Auch wenn der verschleppte Rhythmusaufbau sich als eine Art Grundmotiv durch die Songs zieht, schafft es Kravitz darauf wirklich originäre Melodien zu etablieren. Beeindruckend ist auch das vielseitigen Instrumentarium, das von der akkustischen Gitarre, über Kuh-Glocken, Funk-Bass, Orgelflächen, Saxophon- und Piano Solos, Tablas, einzelnen Streichern und großflächigen Streicher-Arrangements bis hin zu herrlich verzerrten E-Gitarre-Klängen reicht. Man kann sich kaum vorstellen, das er diese Instrumente tatsächlich alle allein eingespielt hat.
Auch die Texte haben einige Besucher beeindruckt: klar Botschaften von Solidarität und Menschlichkeit und angenehm unaufdringliche religiöse Anklänge, verpackt in runde Sprachbilder.
Und der Sound war wie erwartet herrlich Retro: ein warmer Klang, der sich in den durchsichtigen Passagen sehr schön im Raum aufgefächert hat und in den dramatischen dichten Steigerungen keine Schwächen zeigte. Ein wirklich würdiges Album des Monats, dessen musikalische Nähe zu den Beatles an vielen Stellen deutlich hörbar war: der ins verzerrte kippende Gesang, die Streich im Hintergrund, der Billy-Preston-Memorial Orgelsound, die sauberen Melodielinien…
It’s driving me mad
Klanglich war Abbey Road in der fünfzig Jahre alten Mischung keine Offenbarung: in den Höhen klang das Album etwas scharf, den Bässen schien dagegen das Fundament zu fehlen.
Die legendären Songs aber funktionieren noch immer und spalten auch heute noch die Zuhörer in Lennon-Fans und McCartney-Gegner.
Zumindest auf der ersten Seite sind die Lennon-Songs tatsächlich das Highlight von Abbey Road: Come Together rollte mit Ringos bekannten Doppelschlägen heran, wird von Paul McCartneys effektivem Bass geerdet, von George Harrisons Gitarrenklängen gefühlvoll veredelt und von John Lennons in mehreren Layern geschichtetem Gesang gekrönt. Ein beeindruckender Auftakt – der von dem nicht minder eindrücklichen I Want You (She’s So Heavy) am Ende der Seite noch übertroffen wird.
Wieder eine Lennon-Komposition, die sich von allen bisherigen Beatles-Songs schon durch die ungewöhnliche Länge von mehr als acht Minuten unterscheidet. Auf einem klaren Bluesschema basierend, entwickelt sich der Song entlang der hypnotischen Wiederholung des immer gleichen Satzes zu immer härterem Rock, der irgendwie psychedelisch und damit wie eine frühe Inkarnation des erst Anfang der neunziger Jahren entstandenen Stoner-Rocks klingt.
Why don’t you dance with me
John Lennon hat uns den Weg zu den B-52’s gewiesen: in einer schönen und von Yoko Ono bestätigten Geschichte wird erzählt, das Lennon den Song Rock Lobster 1979 in einer Disko auf den Bahamas gehört hat und danach Yoko Ono mit dem Satz angerufen hat: Sie sind jetzt bereit für uns! Nach fünf Jahren Abstinenz zog es Lennon wieder ins Studio, weil er die spitzen Schreie und Fisch-Geräusche am Ende von Rock Lobster als Hommage an Ono gehört hat.
Das Lieblingsalbum von John Lennon im Jahr 79 hat uns auch vierzig Jahre später noch gehörig durchgerüttelt: die Mischung aus simplen, aber überaus eingängigen und tanzbaren (Funk-)Rhythmen mit den an die Frühzeit des Rock’n’Roll erinnernden Surf-Gitarrenklängen, der kalten Stakkato-Orgel und den übrigen elektronischen, scheinbar aus einem billigen sechziger Jahre Science-Fiktion Film stammenden Geräuschen hat einen hohen Wiedererkennungswert – und uns Zuhörer vom ersten Ton an hypnotisch in den Bann gezogen.
Gerade auch im Kontrast mit dem original sechziger Sound der Beatles und den Retro-Klängen von Kravitz zeigten die zeitlich genau dazwischen liegenden B-52s wohin es in den achtziger Jahren gehen wird. Die Unbeschwertheit und der naive Spaß an einem frischen Sound machen aus dem Album mehr als die in Look und Musik offensiv betriebene Rückwendung in die sechziger Jahre. Von einem Besucher des Vinylrauschs wurde diese Musik dann auch treffend als Retro-Avantgard bezeichnet.
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