Im Interview mit Rockradio.de stellen wir den Vinylrausch vor – mit Songbeispielen.
Das traurige Ende der Live-Musik
Im vergangenen Jahr waren es Pearl Jam, nun ist auch Neil Young in den Fängen des Monopolkapitalismus verschwunden, für mich zumindest. Das ist traurig, aber gegen die schamlose Ausbeutung von Fans und Musikliebhaberinnen durch die Monopolisten der Ticketbrache hilft leider nur eines: keine Tickets mehr kaufen!
Mit 185,– Euro für einen Steh- oder Sitzplatz im Unterring schlägt Eventim für Neil Young noch etwas mehr drauf als im letzten Jahr für Pearl Jam. Sie waren unsere Helden, die in den Neunzigern aufgestanden sind gegen Ticketmaster, einen der zwei Monopolisten der Ticketbranche.
Einzig und allein für Pearl Jam war ich vor einigen Jahren bereit, meine prinzipielle Ablehnung gegenüber den großen Mehrzweckhallen zu ignorieren: zwei Tage nacheinander war die Band 2012 in der großen Halle an der Spree. Auch in Rotterdam, in Paris, Düsseldorf und Philadelphia waren es Hallen, ansonsten seit vielen Jahren die beiden Freilichtbühnen in Berlin.
Bei all diesen Konzerten galt ein Einheitspreis. Die echten Fans standen darum schon am späten Vormittag vor den Toren und verdienten sich damit die Plätze im Innenraum oder unten, nah an der Bühne.
Statt Einheitspreis nun soviel wie nur irgend möglich: Dynamic Pricing
Das ist vorbei: Pearl Jam, und nun auch Neil Young, haben/mussten sich den Turbokapitalisten von Ticketmaster ergeben und ihnen die Preisgestaltung überlassen. Jetzt gibt es Platzkarten (in der Waldbühne! Auf langen Bänken! Absurd!) und die Zuschauerränge sind in Segmente unterteilt. Damit haben sich die Ticketpreise horrende verteuert: waren es vor drei Jahren mit 100 EUR schon die höchsten Pearl Jam Preise ever, ging es für das dann nachher ausgefallenen Konzert 2024 bei 175,– los, in der Mitte gab es Premiumsitze für mehr als 300 Euro und unten kosteten die Plätze mit 209 bis 239 Euro mehr als das Doppelte als zwei Jahre vorher.
Warum? Mit Inflation und Preissteigerungen kann es nichts zu tun haben. Ticketmaster ist als Tochterfirma von Live Nation mittlerweile Monopolist, der sich mit Eventim das Ticketgeschäft aufgeteilt hat. Dazu haben die Branchenriesen viele Veranstaltungsorte übernommen und können darum doppelt die Preise diktieren.
Während mir bisher die Ticketpreise für die Stones, Adele, Springsteen und Konsorten reichlich egal waren, hat die aktuelle Enttäuschung über den nun wohl endgültigen Sieg des Fond-Kapitalismus über die Musik meine Teilnahme an größeren Musikshows beendet.
So bitter es ist, aber da mache ich einfach nicht mehr mit. Seit 1996 habe ich keine Pearl Jam Tour verpasst, bin durch Deutschland und Europa gefahren für die Konzerte. Damit ist nun Schluß: ich möchte keine Band mehr sehen, die sich nur noch für ihre zahlungskräftigen Fans interessieren, ich möchte keine Tickets von einer Firma kaufen, die mit so perversen Ideen wie ›Dynamic Pricing‹ die guten Plätze quasi versteigert und ich möchte auch nicht mit ›Fans‹ jubeln, die es bequem und gemütlich haben wollen, egal für welchen Preis.
»Ain’t singing for Pepsi, ain’t singing for Coke« (Neil Young)
Bei Neil Young ist das Spiel jetzt nämlich noch perfider geworden: Zum Verkaufsstart am Donnerstag kostete der Unterring und die Stehplätze 185,- Euro. Einige Stunden nach dem Start tauchte plötzlich eine neue Preiskategorie 8 auf, mit der man eben noch als vergeben markierte Plätze im Unterring, dritte Reihe, für 332,50 Euro buchen konnte – natürlich ohne irgendwelche Extras, wie ’extra’ dazu erwähnt wird …
Richtig zum Kotzen wurde es dann einen Tag später: weil wohl der eine oder andere 332,50 Euro locker gemacht hatte, kostet die Kategorie 8 nun eben nochmal 100 Euro mehr – die 185,– Euro-Tickets werden also jetzt für 432,50 angeboten. Das ist so Scheiße, da finde ich einfach keine anderen Worte mehr für, tut mir leid.
Ich möchte niemandem den Spaß verderben, aber für mich ist das das Ende der Live-Musik in großen Hallen und nun auch in den Open-Air-Locations in Berlin.
Bitter, nach 28 Jahren mit Pearl Jam und noch längerer Zeit mit Neil Young …
Aber es gibt ja ausreichend wunderbare Konzerte von kleinen Bands in kleineren Locations, die für die Branchenriesen zu uninteressant sind, um sich darauf zu stürzen. Mit hundertfünfzig begeisterten Zuhörern eine solch fantastische Live-Band wie neulich erst Dirty Sound Magnet im Cassiopeia hören zu können, ist ohnehin unschlagbar …
Und für diese Konzerte gibt auch noch Konzertkassen wie z. B. Koka36, bei denen man ganz echt und analog Tickets bekommen kann.
PS.: Zurzeit kostet die dubiose Kategorie 8 nun wieder 332,50 Euro – also, laßt Euch nicht verarschen!
PPS.: Der gut informierte und in diesen Dingen dankenswerterweise sehr umtriebige Berthold Seeliger hat akribisch zusammengefasst, wie Eventim auch noch 400 Millionen an Corona-Hilfen eingesackt – und fast vollständig als Gewinne verbucht hat!